Es war lange recht still
geworden um die Firma Glasflügel. Mit Wehmut dachten viele an die Zeiten von
Eugen Hänle und seiner Erfolgs-Flugzeuge zurück. Mit der Standard Libelle, dem
seinerzeit meistgebauten GfK-Segler, begann für viele Privatflieger wie auch
Vereinspiloten das "Kunststoffzeitalter". Wehmütige Gedanken kreisen
aber auch immer noch um die Kestrel, das wohl am meisten geliebte Flugzeug aus
der alten Glasflügel-Palette. Doch der Kestrel war, wie nur wenige wissen, nie
ein echter kommerzieller Erfolg beschieden. Der Grund war die Klassenlosigkeit
dieses Flugzeuges. Mit ihren 17 m Spannweite war die Kestrel für die Offene
Klasse zu klein und für die spätere Rennklasse zu groß.
Inzwischen verlangt der
Markt jedoch entschieden stärker als in früheren Jahren nach Flugzeugen, die
ungeachtet von Klasseneinteilungen einfach darauf ausgelegt sind, ein Maximum
an Leistung bei einem noch vertretbaren Aufwand zu realisieren. Nichts ist
dabei billiger, als eine größere Spannweite. Mit der nun vorgestellten Glasflügel
402 will das Schlattstaller Unternehmen daher nun wieder in die 17-m-Kategorie
vorstoßen: Um das Klassen-Dilemma der Kestrel zu vermeiden, ist die 402 so
ausgelegt, daß man ihre Spannweite auf 15 m verkürzen kann, womit man ein
vollwertiges Rennklasse-Flugzeug erhält.
Wie schon bei der
Vorstellung der "Glasflügel 304" letztes Jahr angekündigt (s.
aerokurier 7/80), hat Glasflügel nun auch den großen Bruder fertiggestellt und
der breiten Öffentlichkeit erstmals anläßlich der RMF in Friedrichshafen präsentiert,
die Glasflügel 402. Das Schlattstaller Werk setzt also kreativ und zielbewußt
Eugen Hänles Lebenswerk fort.
Bekanntlich wurde das
Unternehmen nach dem Tod des Firmengründers 1975 für einige Zeit von Klaus
Holighaus und Klaus Hillenbrand weitergeführt. Klaus Holighaus war schon zu
Lebzeiten von Eugen Hänle an Glasflügel beteiligt, nachdem das Unternehmen nach
Auslaufen der an sich so erfolgreichen Club Libelle in Schwierigkeiten geraten
war. Rund drei Jahre später fanden sich dann mehrere Interessenten, darunter
auch eine brasilianische Firma, zu einer GmbH zusammen, welche alle
Geschäftsanteile übernahm. Unter Geschäftsführer Erich Weinzierl und dem neu zu
Glasflügel gekommenen Konstrukteur Dipl.-lng. Martin Hansen, ehemals Akaflieg
Braunschweig, begann dann die Glasflügel-Mannschaft, die sich noch heute fast
ausschließlich aus ehemaligen Mitarbeitern Eugen Hänles zusammensetzt, mit der
Entwicklung und Herstellung einer neuen Typenreihe. Die "Glasflügel
402" ist nun das zweite Modell dieser neuen Generation.
Seit 1975 wird die Kestrel
nicht mehr gebaut. Trotzdem erfreut sich dieses Flugzeug auch heute noch bei
vielen Segelfliegern großer Beliebtheit. Wer eine Kestrel flog, schwärmt von
der Ausgewogenheit, der Harmonie von Technik, Aerodynamik und Design, von einem
Flugverhalten, das sowohl Leistungspiloten wie "Normalflieger"
schlicht begeistert. Ein Blick auf den Gebrauchtmarkt im Kleinanzeigenteil des
aerokurier zeigt: Wer eine Kestrel besitzt, trennt sich offenbar nur ungern von
diesem Segler und wenn, dann leider nur zu entsprechenden Preisen.
So ist sie nach wie vor
einer der meistgesuchten Segler auf dem Second-Hand-Markt. Immer wieder gingen
bei Glasflügel Anfragen ein, ob man denn nicht wenigstens noch eine einzige
Kestrel bauen könnte. Aus technischen Gründen mußte die Antwort leider immer
ein "nein" sein. Rückblickend kann man sagen, daß Glasflügel
seinerzeit mit der Einstellung der Kestrel-Produktion einen großen Fehler
machte. Eine beständige Kestrel-Produktion, auch wenn die Stückzahlen nur
gering gewesen wären, hätte dem Unternehmen auf Dauer eine gewisse Basis
gegeben, um die nach der Club-Libelle entstandene Lücke im Produktionsprogramm
besser zu überbrücken. So wurde sie dann zum Liebhaber-Flugzeug der
"klassenlosen" Leistungsflieger.
In der Tat mußten sich
Parallel- und auch Folgeentwicklungen in Leistung und Flugverhalten an diesem -
heute schon fast legendären - Flugzeug der ersten Wölbklappengeneration messen
lassen. "Sie fliegt wie eine Kestrel" war der Gipfel des Lobs für
einen Segler und ist es auch heute noch. Kein Wunder also, daß der Wunsch nach
einer Neuauflage der Kestrel immer wieder an die Firma Glasflügel herangetragen
wurde. Hier ist nun - so der Hersteller - die neue Kestrel. Glasflügel 402 ist
die korrekte Typenbezeichnung des Nachfolgers, und Anfang April stand sie in
Nabern-Teck für den aerokurier bereit - bereit zu beweisen, daß die 402 auch
tatsächlich so fliegt "wie eine Kestrel".
Braunschweiger
Wölbklappenprofil
Entwickelt wurde die 402 auf
der Grundlage der Glasflügel 304, dem schon im Mai 1980 vorgestellten neuen
Flugzeug der Rennklasse. Martin Hansen - bei der Akaflieg Braunschweig
maßgeblich beteiligt an der Konstruktion der SB 11 - begann im Herbst 1979 mit
der Entwicklung dieses Flugzeugs. Unter seiner Leitung führte ein Team, das
sich zum großen Teil aus Eugen Hänles bewährter Mannschaft zusammensetzte, die
Tradition des Glasflügelkonzepts fort, die einmal mit der H 301-Libelle begann.
Der Aufbau der 402 ist weitgehend identisch mit
der 304, abgesehen von der Spannweite.
Die sich in der Hinterkanten-Bremsklappenidee schon bei der Club-Libelle
andeutende und in der Mosquito schließlich verwirklichte
Brems-Wölbklappenkombination ist in ihrer weitgehend technischen Perfektion
auch bei der Glasflügel 402 übernommen. Das in Braunschweig speziell für die
304 bzw. 402 entwickelte Wölbklappenprofil HQ/010-1642 bietet besonders gute
Steigleistungen und soll unempfindlich gegen Regen oder Mückenbefall sein und
die gefürchteten Leistungsverluste bei Verschmutzung in Grenzen halten.
Verwandlungsfähig
Der vierteilige
Doppeltrapezflügel erlaubt durch die Verwendung seiner Steckohren" eine
rasche Verwandlung des quasi klassenlosen 17-m-Flugzeugs in eines der
Rennklasse.
Oie Verwandlung ist eine
Sache von Sekunden, wobei die Sicherheit der Steckverbindung hier, wie auch bei
der Flächen- und Leitwerksmontage, besonders erwähnt werden sollte. Was einmal
zusammengesteckt ist, ist gleichzeitig zwangsgesichert, ein Unfallrisiko durch
"Vergessen" also - soweit man so etwas überhaupt sagen Kann -
ausgeschlossen. Automatisch schließen selbstverständlich alle Anschlüsse beim
Zusammenstecken der Tragfläche an, das einzige lose Teil ist der Hauptbolzen,
der durch einfache Drehung gesichert wird.
Die Wölbklappenkonzeption
Es lohnt sich, die Klappen-
und Ruderkonzeption des Flügels näher zu betrachten. Außen liegt das Querruder,
es reicht von der Spitze des Steckteils des 17-m-Flügels über das Außentrapez
bis zu einer kleinen Platte, die eine Wirbelbildung zwischen Querruder und
Wölbklappe reduzieren soll. Über die gesamte Länge des Innentrapezes geht die
Wölbklappe, die durch die Querruderfunktion nicht überlagert ist.
Eine Überlagerung schien
wegen des Flügelgrundrisses der 402 mit ihrem relativ großen Außentrapez nicht
erforderlich. Die völlig ausreichende Querruder-Wirksamkeit im Fluge gab der
Theorie recht und ließ allerdings auch den Konstrukteur nach den Erstflügen
aufatmen. Bei Betätigung des Wölbklappenhebels in eine seiner fünf Positionen
bewegt sich dann die Hinterkante des Flügels über die gesamte Spannweite,
allerdings differenziert:
Die innere - eigentliche
Wölbklappe -macht größere Anschläge, die äußere - gleichzeitig Querruder -
"hinkt" sowohl in den beiden positiven wie den beiden negativen
Stellungen, was die Ausschlaggröße betrifft, hinterher. Hierdurch werden
Auftriebsverteilung am Flügel und damit die Flugleistung und die
Flugeigenschaften optimiert. Die Klappenstellungen sind auf sinnvolle fünf
Stufen reduziert, von denen im Normalfall jedoch schon drei völlig ausreichen
dürften. Die 0-Stellung für das "Beste Gleiten" und -1 für
"normales" Fliegen bis zu etwa 150 km/h. Bei höheren
Geschwindigkeiten wird die Stellung -2 verwendet. Beim Kurbeln zieht man den
Klappenhebel auf + 1, nur für extrem enge Thermik und bei hoher Flächenbelastung
dürfte die +2 -Stellung erforderlich werden. "Geschmacksache", meint
Martin Hansen hierzu und ergänzt: "Man soll mit der Stellung kurbeln, mit
der man glaubt, am besten zurechtzukommen, das hilft sicherlich mehr, als in
der Kreisflugpolare nach einem halben Zentimeter weniger Sinken zu
suchen". Durch eine einfache Sperre wird der Wölbklappenhebel bei
Betätigung der Bremsklappen arretiert, ein segensreiches Stück Blech, das
genial einfach wirkungsvoll verhindert, daß die Wölbklappenstellung im Landevorgang
verändert wird und dadurch Unfälle provoziert werden.
Auftriebsneutrale
Bremsklappen
Die Bremsklappen sitzen vor
den Wölbklappen, reichen jedoch nicht ganz bis an den Rumpf heran. Von einer
gewissen Stellung an nehmen sie die bei der Landung auf +2 gerasteten
Wölbklappen mit und bilden mit diesen eine wirkungsvolle, breite Fläche, die
sich sowohl nach oben wie nach unten in die Strömung stellt. In dieser
Konfiguration stellen beide Klappen echte "Bremsklappen" dar, die
sich auftriebsmäßig völlig neutral, verhalten, was sie von
auftriebsvernichtenden, sogenannten Schempp-Hirth-Klappen unterscheidet.
Dies erlaubt und erfordert
zugleich niedrigere Anfluggeschwindigkeiten. Bei zu schnellem Anfliegen ergibt
sich ansonsten durch den gut ausgeprägten "Bodeneffekt" ein sehr
langes und weites Ausschweben. Die Anfluggeschwindigkeit von 85 km/h ist
deshalb möglichst genau einzuhalten, dann gibt's keine Probleme. Die enorme
Bremswirkung des Klappensystems der Glasflügel 402 zeigt sich besonders in der
Tatsache, daß selbst bei Senkrechtsturz die Vnf, nicht über-
schritten wird und
Überlastungsbeschädigungen durch ungewollt zu hohe Geschwindigkeiten praktisch
ausgeschlossen sind.
Maximale Flächenbelastung:
höher als 50 kg/m2!
Die Variationsbreite der
Flächenbelastung entscheidet, in welchem Wetter sich das Flugzeug wie fliegen
läßt. Konstruktionsziel ist es, das Rüst- und damit das minimale Fluggewicht so
gering wie möglich und den aufzunehmenden Wasserballast zur Erhöhung der
Flächenbelastung so groß wie möglich zu machen. So können die Flügel der 402
insgesamt 170 Liter Wasser aufnehmen, um die Flächenbelastung zu variieren. Die
Betankung wie auch der Wasserablaß erfolgen durch Ventile an der Unterseite des
Flügels. Dabei ist eine für beide Flügel getrennte Schaltung möglich, die es
erlaubt, den einen Tank abzuschotten, während der zweite gefüllt wird. Der
Ablaßvorgang erscheint mit 5 bis 6 Minuten Dauer etwas lange. Man sollte sich
daher bei Glasflügel Gedanken über einen Schnellablaß machen. Bei 6 Minuten
Ablaßzeit bleibt dem Piloten in einem kritischen Fall nur die Entscheidung, das
Wasser entweder früh abzulassen oder womöglich mit halbvollen Tanks auf den
nächsten Acker zu müssen.
Gewichtsphilosophie und CfK
Es gibt handliche und
schwere Flügel. Vom Gesichtspunkt der Montage her hat sich ein Flügel, der bis
zu 65 kg wiegen darf, als noch akzeptabel erwiesen. Liegt er nur wenige Kilo
darüber, gilt er bereits als unhandlich und schwer. So ist es das Anliegen der
Konstrukteure, mit dem Flügelgewicht unter dieser "Schallgrenze" zu
bleiben. Kohlenstoff bietet sich als Werkstoff an. Obwohl durch die
CfK-Technologie manches Kilo an Gewicht zu sparen ist, bleibt wegen der hohen
Kosten und auch der vorläufig noch bestehenden
"Reparaturunfreundlichkeit", die die Verwendung von Kohlenstoff auf
die tragenden Teile des Flügels beschränkt, ein Kompromiß zwischen Kosten- und
Gewichtsersparnis also.
So wird CfK auch in den
Holmgurten der 402 Verwendung finden, obwohl der Flügel des Prototyps, dessen
Holm noch aus Glas besteht, einschließlich des Ansteckflügels nur etwa 75 kg
wiegt. Etwas mehr als 20 kg Gewichtsersparnis wird der Kohleholm insgesamt
bringen. Das Gewicht des Einzelflügels sinkt damit unter die magische 65 kg-Grenze.
Erfahrung in der CfK-Technologie besitzt Glasflügel seit der Kohle-Hornet, bei
der man sogar Laminate aus CfK verwendete, die jedoch wegen ihrer geringen
Dicke nicht so sauber "stehen" bleiben, wie die GfK-
Oberflächen. Dies ist auch
mit ein Grund dafür, weshalb man bei der 304 und 402 von vorneherein auf CfK
außerhalb der tragenden Teile verzichtete.
Das gedämpfte
T-Höhenleitwerk erscheint, wie auch das Seitenleitwerk, zunächst sehr reichlich
dimensioniert, wenn man von einem heutigen 15-m-Flugzeug ausgeht. Unter dem
Gesichtspunkt, daß es sich bei der 402 nicht um ein 15-m-Flugzeug mit
Ansteckflächen, sondern um ein echtes 17-m-Flugzeug handelt, stimmen die
Proportionen jedoch wieder. In die Rumpfschale sind aus Gründen der
Strukturstabilität und aus Sicherheitsgründen GfK-Hohlprofile eingeharzt.
Gegenüber der 304 wurde der Rumpf aus Flugstabilitätsgründen um
35 cm verlängert. Nach
Glasflügeltradition besitzt die 402 neben der Hauptfahrwerk ein Spornrad und
außerdem - wahlweise - zur Schwerpunktkupplung eine Bugkupplung. Hinter den
Holmen befindet sich im Rumpf ein "Gepäckfach", genauer gesagt, eine
Klappe, die den Batteriekasten schließt. Die Klappe selbst praktischerweise als
Barographenhalterung ausgelegt. Auch an die Halterungen für Sauerstofflaschen ist
gedacht. Die Lunge findet seitlich Platz. Unter dem Steuerknüppel sitzt ein
Konsole für Manometer und O2 Wächter.
Funktionales
Kirchner-Cockpit
Interessant ist vor allem
das Cockpit der Glasflügel 402. In manchen Details sind bereits die
Vorstellungen des Kölner Designers Kirchner verwirklicht -in anderen, sicher zu
seinem Leidwesen, noch immer nicht, weshalb ich mich eigentlich scheue, das
402-Cockpit als "Kirchner-Cockpit" zu bezeichnen. Ansätze sind jedoch
deutlich erkennbar und sowohl in der Konzeption ganzer funktionaler Einheiten
wie auch in "Kleinigkeiten" enthalten. Immerhin ein erster Schritt,
der zeigt, daß Detlev Kirchner mit seinen Ideen schon etwas in Bewegung
gebracht hat.
Kein "Fädeln" mehr
Ich nehme im geräumigen
Cockpit de Glasflügel 402 Platz. Die große, vor; angeschlagene Haube und der
darunter befindliche, ebenfalls mithochgeklappte Instrumentenpilz, erleichtert
den Einstieg. Ein Einfädeln der Beine entfällt. Wichtiger jedoch als die
Bequemlichkeit beim Einstieg ist die Tat Sache, daß beim Notausstieg in de Luft
kein umständliches "Ausfädeln" der Beine erforderlich ist, da nach
der Haubenabwurf der Instrumentenpilz automatisch mittels einer Gasfeder
hochgedrückt wird. Beim Durchziehen der beiden Hebel für den Hauben-Notabwurf
gehen die beiden dahinterliegenden Haubenöffnungshebel automatisch mit und die
Haube ist in Sekundenbruchteilen getrennt. Ein weiteres Sicherheitsmoment
stellt die nicht etwa am Rumpf befestigte sondern in die Rückenlehne
integrierte Kopfstütze dar, an der im Notfall kein Fallschirm hängenbleiben und
den Ausstieg erschweren könnte.
Aufgrund des vorrangig die
Sicherheit betreffenden Abwurfmechanismus ist natürlich auch das Abnehmen der
Haube einschließlich der Abdeckung de Instrumente kein Problem. Danach liegen
Verkabelungen und Instrumentenschläuche für Installations- oder
Wartungsarbeiten völlig frei. Ich schließe die Haube, nachdem ich es mir zuvor
mittels der Rückenlehnenregulierung und der Pedalverstellung ganz bequem
gemacht habe. Vor dem Schließen der Haube ragen die beider Schließhebel weit
ins Cockpit hinein - ein Übersehen und Starten mit ungesicherter Haube ist
daher unmöglich. Funktional und übersichtlich ist das Panel gestaltet, alle
Bedienungshebel liegen bequem erreichbar und ergonomisch optimal dort, wo sie
gebraucht werden. Verwechslungen sind praktisch ausgeschlossen. In all diesen
Details, die in der Glasflügel 402 so selbstverständlich anmuten, die aber,
wenn man andere Flugzeuge kennt, bei weitem noch nicht selbstverständlich sind,
erkennt man die Gedanken und Vorstellungen Kirchners wieder. Allerdings finde
ich, daß die berechtigte und notwendige Abkehr von Fehlentwicklungen
substanzlosen Designs hin zum funktionsbestimmten Design den Anspruch des Auges
nicht völlig vernachlässigen dürfte. Hier ist im Cockpit der 402 mit geringen
Mitteln in der Tat noch einiges zu erreichen, damit der
"Arbeitsplatz" auch optisch noch gewinnt. Ich denke da an die
Sitzauskleidung, an die hervorstehenden Rundkopfschrauben des Panels, die
"Skistockgriffe" aus Plastik und vielleicht auch an eine etwas
freundlichere Farbgebung. Dies ist auch nun wirklich kein Luxus. Wer vielleicht
acht oder gar zehn Stunden im Cockpit sitzt, hat den Anspruch auf eine
"menschliche Ausstattung". Was den Platz im Cockpit anbetrifft, so
besteht jedoch kein Grund zur Klage. Die moderne Anthropotechnik erlaubt auch
dem vielzitierten 2-Meter-Mann noch, sich in der 402 wohlzufühlen. Ich bin
soweit, es kann losgehen. Für den Start raste ich die Wölbklappen für das
Anrollen auf - 1, obwohl Martin Hansen mir erklärt, die für den Start
vorgesehene +1 -Stellung reiche auch für das Rollen aus. Aber wir haben
leichten Rückenwind, da gehe ich lieber "auf Nummer sicher". Für den
ersten F-Schlepp wähle ich außerdem aus Sicherheitsgründen die Bugkupplung und
- die 15-m-Version der 402. Dies einfach deshalb, weil ich gespannt bin, wie
ein Flugzeug von einem zum anderen Start "besser" wird, bei gleichen
Wetterbedingungen und gleichem Piloten.
Ausgeklügeltes
Lüftungssystem
Das Wetter sehe besser aus,
als es sei, meint der Schlepppilot, der schon oben war, bevor er mich
hochzieht. 2 bis 3 Achtel Cumulus in etwa 1200 m über Grund, aber recht diesig,
dabei aber kaum Wind. Ich stehe mit den Hacken auf den Bremsen, während sich
das Schleppseil strafft und öffne die Lüftung, da es recht warm geworden ist im
Cockpit.
Die Glasflügel 402 besitzt
ein ausgebügeltes Lüftungssystem. Vorne am Rumpf sitzt ein kleiner Spant, in
den eine rechteckige Trimmgewichtskammer eingelassen ist. Dieser Spant schottet
die Bugspitze gegen das Cockpit ab, besitzt jedoch ein Loch zum Cockpit hin. Im
Raum davor herrscht durch die Kupplungsöffnung Staudruck; beim Schließen der
Haube und gleichzeitigem Absenken des In-strumentenpilzes preßt sich eine
entsprechende Öffnung vorne am Pilz gegen das Loch, wodurch die Verbindung der
Staudruckkammer zum in den Instrumentenpilz integrierten Lüftungssystem
hergestellt wird. Beim Betätigen des Lüftungsknopfes öffnet sich ein Schieber,
die Luft streicht von vorne über die Innenseite der Haube und verhindert so ein
Beschlagen. Aber auch der Pilot braucht auf direkte "Belüftung" nicht
zu verzichten. Bleibt der Schieber geschlossen, wird die Luft über Kanäle zu
den beiden Lüftungsdüsen am Panel geführt, die eine individuelle und
wirkungsvolle Regulierung des Luftstroms erlauben. Zudem besitzt die Haube
natürlich ein Fenster mit der bekannten Lüftungsklappe, so daß das
Belüftungssystem der Glasflügel 402 insgesamt als vorbildlich bezeichnet werden
kann. Bei meinen Flügen konnte ich mich von der Wirksamkeit des Systems
überzeugen. Störend empfand ich allerdings die relativ starke
Geräuschentwicklung bei voll geöffnetem Lüftungsschieber, die umso auffallender
wirkt, weil die 402 ansonsten ein außergewöhnlich leises Flugzeug ist.
Absolut dicht
Diese Tatsache ist letztlich
auf die absolut dicht schließende Haube zurückzuführen. Ein in den Haubenrahmen
eingelassener Falz nimmt einen weichen Silikonschlauch auf, der die Haube
rundum gegen den Cockpitausschnitt abdichtet. Damit die Haube bei
Temperaturschwankungen nicht "arbeitet", ist sie vorn und hinten am
Rumpfausschnitt fixiert; der gegenüber den üblichen Krallen etwas aufwendige
Teleflexzug, der zur Verriegelung nun erforderlich war, lohnt sich jedoch, da
das Dichtungsproblem somit gelöst scheint.
Der Start
Die Querruder sprechen beim
Anrollen sofort an, ich fahre die Wölbklappen auf +1 und die 402 hebt ab. Mit
dieser Klappenstellung ist die Rumpflängsneigung im Schlepp optimal, die Sicht
einwandfrei. Ich fahre das Fahrwerk ein und schließe die Lüftungsklappe. Es ist
erstaunlich, wie leise es im Cockpit ist.
Willig folgt die 402 dem
Schleppseil, mit ganz geringen Steuerausschlägen korrigiere ich bei Böen. Die
Schnelltrimmung am Knüppel reagiert auf den Druck des kleinen Fingers. An die
Parallelogrammführung des Knüppels gewöhnt man sich rasch, die Querruderkräfte
sind zwar gering, jedoch der Knüppel kommt nach einem Ausschlag immerhin von
selbst wieder zurück. (Das fast völlige Fehlen der Querruderkräfte bei der
Club-Libelle wurde von vielen Piloten als unangenehm empfunden).
Enorm wendig
Nach dem Ausklinken kurbele
ich mich am Albrand noch etwas höher und genieße das spielend leichte Handling
des Flugzeugs. Stabil kreisend und "Klick" mit dem kleinen Finger
optimal ausgetrimmt, gewinnt das Flugzeug an Höhe, enorm wendig erfolgen
Korrekturen und Kreiswechsel: Das für 17 Meter Spannweite ausgelegte Leitwerk
erhöht die Wendigkeit bei 15 Metern beträchtlich. Leicht überdimensioniert
erscheint so zum Beispiel das Seitenruder, es braucht bei weitem keine
Vollausschläge, um den Faden beim Kurvenwechsel in der Mitte zu halten.
"Gebremster"
Schnellflug
Da ich schon nach kurzer
Zeit "an der Decke" des Sektors Hahnweide angekommen bin, steige ich
aus dem Bart aus und gebe der 402 über die Wölbklappenstellungen 0, -1 und -2
"die Sporen". "Dieses Flugzeug befindet sich in der Flugerprobung"
prangt ein rotes Schild deutlich sichtbar am Panel. Nicht schneller als 200
km/h, habe ich mir vorgenommen. Sie ist zwar schon schneller geflogen worden
und soll später für 270 km/h zugelassen werden, auch als 17-m-Version, aber 200
sind für heute das Limit. Das Flugzeug hat schnell beschleunigt, ich fliege
zwar ohne Wasserballast, aber der Prototyp - noch ohne Kohleflügel und von in
der Serie überflüssigem Harz nicht abgespeckt -liegt im Leergewicht sicher in
der Gegend von 270 bis 280 kg und kommt mit meinem Gewicht + Trimmgewicht und
Schirm auf eine Flächenbelastung von etwa 35 kg/m2. Ich empfinde dieses Gewicht
und die hintere Schwerpunktlage, mit der ich den Prototyp fliege, keineswegs
als unangenehm oder irgendwie störend.
"Thermiktastgerät"
Mittlerweile ist mir die Albhochfläche
ziemlich nahe gerückt und ich bin drin-
gend an einem Bart
interessiert. Die Hochfläche enttäuscht mich sehr, und ich taste mich
schließlich an der Albkante entlang, wo die Sonne schön auf den weißen Felsen
steht. Ein Modellsegler und zwei Bussarde weisen mir eine Stelle schwachen
Aufwindes, und gerade im schwachen Aufwind zeigt die 402, was sie kann. Ihre
hohe Sensibilität verrät jede Luftbewegung, und schon nach ein bis zwei Kreisen
und Achten kenne ich die Struktur des Aufwindfeldes genau. Auf +2 die
Wölbklappen und auf geht's.
Langsamflug
In ausreichender Höhe
überziehe ich die 402, noch kurbelnd, und beobachte, wie die Fahrtanzeige
fällt. Erst unter 65 km/h beginnt sie (die Fahrtanzeige zu zittern, pendelt
schließlich aufft lend hin und her und erst jetzt mach sich Abreißerscheinungen
auch s. Flügel bemerkbar. Es ist ein Gefühl, -ob jemand das Flugzeug kurz
festhält und gleich wieder losläßt; das eigentlich Auffallende ist jedoch das
merkwürdige Verhalten der Fahrtmessernadel, während die Varios ganz ruhig
bleiben.
Optische Überziehwarnung
Die Sache erklärt sich so:
Die Staudruckabnahme ist bei der Glasflügel 402 in die Seitenflosse verlegt und
sind als kleines Röhrchen unter der Kompensationsdüse. Dies hat, so erläute
Martin Hansen später, einerseits den Effekt der fehlerfreien Anzeige beim
Schlepp und bewirkt weiterhin die ai fällige zusätzliche Überziehwarnung durch
den Zeiger des Fahrtmesse; da die Staudruckabnahme in die abgelösten Wirbel des
Flügels gerät. Da die Kompensationsdüse etwas höher liegt wird sie von diesen
Turbulenzen nie erfaßt, wodurch sich die ruhige Varioanzeige erklärt, während
der Fahrtmesser "verrückt spielt". Bei noch weiterem Überziehen im
Kurvenflug schmiert die 402 über den hängenden Flügel ab, holt Fahrt auf und die
Strömung liegt an. Auch im Geradeausflug zeigen sich die gleichen
Erscheinungen: Da scheint jemand am Leitwerk zu zupfen, der Fahrtmesser tanzt
und nichts geschieht: Mit durch gezogenem Knüppel ein harmloser Sackflug, der
durch leichtes Nachlassen des Knüppels sofort wieder einen ruhigen
Geradeausflug über geht. Bei ruckartigem Durchziehen des letzten Stücks des
Knüppelwegs kippt die 402 ohne Drehung genau nach vorne weg und bevor sie steil
wird, liegt auch die Strömung schon wieder an. Ich probiere die
Langsamflugeigenschatten bei verschiedenen Klappen Stellungen, und immer zeigt
sich bei geringfügig veränderten Minimalgeschwindigkeiten das gleiche harmlose
Überziehverhalten. Auch eine Klappenfehlbedienung im Überziehbereich erweist
sich durch die gutmütigen Flugeigenschaften als unkritisch.
Stabil um alle Achsen
Im Normal-Geradeausflug
trete ich kurz das Seitenruder und beobachte "freihändig" fliegend,
wie die 402 reagiert. Sie reagiert hervorragend: ohne nachzupendeln kehrt die
Flugzeugnase - fast - bis zum Festpunkt am Horizont zurück.
gut ausgetrimmt ist die 402
auch ausreichend längsstabil. Sie folgt einer ganz geschwungenen Bahn, wobei
die Fahrt etwa zwischen 80 km/h und 115 km/h schwankt (Klappenstellung 0).
Landung
Den Landeanflug setze ich
mit 300 m dort an, wo der Endanflug normalerweise in 100 m zu beginnen hat. Ich
fliege noch ein wenig geradeaus, bis ich mir selbst sage "Jetzt aber
runter" und ich ziehe bei hinterster Wölbklappenstellung (+2) die
Bremsklappen. Der Hebel geht leicht bis zu einem vermeintlichen Anschlag - dies
ist der Punkt, von dem ab die Wölbklappe mitgenommen wird. Mit einigem
Kraftaufwand überwinde ich diesen Punkt und ziehe den Hebel voll durch. Ich muß
drücken, drücken, drücken, damit mir die Fahrt nicht ganz stirbt, und ich habe
bei diesem steilen Abstieg das Gefühl, an einem Fallschirm zu hängen. Weit vor
dem Platzrand beeile ich mich, den Bremsklappenhebel zunächst halb, dann aber
rasch ganz wieder einzufahren, um nicht zu kurz zu kommen. Für meine vorher
angekündigte "Lange Landung" war dies auch die höchste Zeit, und ganz
so lang, wie sie eigentlich werden sollte, wurde sie dann auch nicht...
17-Meter-Genuß
Beim zweiten Mai flog ich
die Glasflügel 402 in ihrer 17-m-Ausführung. Dies ist die Auslegung, für die
sie eigentlich konzipiert und konstruiert wurde. Jetzt stimmte einfach alles,
die Ruderabstimmung war optimal. Der Leistungsgewinn durch die große Spannweite
mag subjektiv durch das Wissen um die nun vorhandene aerodynamische
Verbesserung größer erscheinen, als sie tatsächlich ist. Aber man hat das
Gefühl, mit diesem Flugzeug viel weiter und länger gleiten, viel besser steigen
und damit schneller vorankommen zu können.
Das abschließende Urteil ist
rasch formuliert: Die neue Glasflügel 402 fliegt durchaus "wie eine Kestrel"
und macht ihrem berühmten Vorgänger alle Ehre. Sie spricht einen Käuferkreis
an, der aus Freude am Fliegen fliegt, mehr oder weniger genießen möchte und
"privat" an die Bewältigung größerer Aufgaben denkt. Vielleicht ist
er auch an der Teilnahme an regionalen Wettbewerben der Rennklasse
interessiert. Für den passionierten Wettbewerbspilot, für den primär Leistung
und Punkte zählen, ist die 304, die parallel zur 402 weitergebaut wird, eher zu
empfehlen: sie wird auch schließlich ca. DM 7000,- weniger kosten als ihre
große Schwester, die ein echtes 17-m-Flugzeug ist, das durch das Abnehmen der
"Ohren" zu einem Rennklasseflugzeug umfunktioniert werden kann. Ab
September 1981 beginnt in Schlattstall die Serienproduktion - sofern die 402
die Hürden bis zur Musterzulassung glatt nimmt. Bisher sieht es ganz so aus.